Die Geburt der Dichtung
aus dem Telefon

   

An einem Ort, nicht weit von hier, doch soll er nicht verraten werden, steht ein Telefon. Das wäre nichts Besonderes, denn Telefone stehen überall auf der Welt und täglich werden sie von Millionen von Menschen benutzt, sie nehmen den Hörer in die Hand, werfen Geld ein, wählen irgendeine Nummer, und dann meldet sich im Hörer plötzlich eine Stimme und die Menschen, an ganz unterschiedlichen Orten fangen an, miteinander zu reden: „Wie gehts Dir denn Ich liebe Dich Ist bei Euch auch so ein Sauwetter Haben Sie mir schon mein Gehalt überwiesen

Das Telefon, von dem hier die Rede ist, war lange Zeit ein solch normales Telefon. Es dachte sich nichts dabei, daß Menschen in es hineinsprachen und andere Stimmen aus ihm heraus hörten.

Eines Tages aber war ein kleines Mädchen gekommen, fast noch nicht groß genug , um überhaupt den Hörer zu erreichen, das hatte sich mühselig den Hörer von der Gabel gelangt und „Hallo, Hallo Ist da denn niemand“ und als es still blieb im Hörer, nur das unveränderte Pfeifen der Amtsleitung tönte, hatte es angefangen zu weinen und „Nie ist jemand da mit dem ich sprechen kann, immer bin ich ganz allein“ schluchzte es und Tränen liefen ihm aus den Augen bis auf den Pullikragen. Da hatte das Telefon Mitleid bekommen und wollte der Kleinen irgendetwas sagen, es räusperte sich, daß die inwendige Glocke ein wenig rappelte und merkte dann, daß es gar keine Worte hatte. Es konnte einfach nichts sagen, hatte nie aufgepaßt, was die Menschen so alles sagen. Und überhaupt hätte es auch gar nicht gewußt, was das alles zu bedeuten hatte, was die Worte meinen. Es überlegte und überlegte und dann fiel ihm doch noch ein Wort ein, das fast alle immer sagten: Hallo. „HalloHallo“ sagte es wieder, „wer ist denn da“ „Hallo Hallo“ sagte das Telefon. „Warum sagst du denn nur Hallo“ fragte das Mädchen, „Hallo Hallo“ sagte das Telefon.“Das Mädchen schüttelte den Kopf und legte den Hörer zurück auf die Gabel. „Hallo ist besser als gar kein Wort, aber es ist auch zu wenig zum Erzählen, sagte das Mädchen und ging mit hängendem Kopf aus der Telefonzelle.

Auch das Telefon war jetzt ganz traurig geworden, weil es keine Worte hatte. Und es überlegte sich, daß es sich eine Wortsammlung anlegen wollte, um mit den Menschen, wenn sie traurig wären, sprechen zu können.

Kurz darauf war ein Mann in die Telefonzelle gekommen, hatte Geld eingeworfen, gewählt, eine Frauenstimme meldete sich auf der anderen Seite:“Hallo Liebste“ sagte der Mann, „schön dich zu hören, ich wollte nur wissen, wie es dir geht, und daß ich dich liebe, wollte ich dir sagen.“

Das Telefon merkte sich diese Worte genau und behielt sie für sich. „Hallo“ sagte die Frauenstimme am anderen Ende der Leitung, „Hallo, Hallo, wer ist denn da?“ _“Hallo Liebste, hörst du mich denn nicht“ fragte der Mann. Dann knackte es in der Leitung. „So'n Mist“ sagte der Mann und legte den Hörer auf, ging weg.“Es fing an zu regnen, zu hageln, Wind kam auf. Da stoppte ein LKW neben der Telefonzelle, der Fahrer sprang raus, lief zum Telefon, wählte, eine Firma meldete sich: „Hallo Chef“ sagt der Fahrer, „ich komme nicht mehr weiter, ein Scheißwetter haben wir.Scheißtelefon

So ging es nun Tag um Tag. Das Telefon behielt alle Wörter, die ihm gesagt wurden, und endlich glaubte es, die Sprache der Menschen sprechen zu können. Da kam eines Abends, wieder regnete es und kalt war es geworden, ein Penner in die Telefonzelle. „Wenigstens trocken ist's hier“ sagte er. Zum Spaß nahm er den Hörer ab und sagte „HalloHallo Liebste, schön dich zu hören, wollte nur mal wissen, wie es dir geht“ „Ich glaub ich spinne“ sagte der Penner und „Hallo, wer ist denn da“ „Schweißwetter heute“ sagte das Telefon, „stimmt“ anwortete der Penner, „ich bin vollkommen besoffen“ lallte das Telefon, „kann leider nicht mehr Autofahren“ „Ich bin doch nicht besoffen“ sagte der Penner, „hab heute noch keinen Schluck getrunken.“ _“Liebst du mich“ fragte das Telefon, „haben Sie schon die Rechnungen bezahlt, stell dir mal vor, wen ich getroffen habe.“

Der Penner ließ erschrocken den Hörer fallen. „Was hat das zu bedeuten“ dachte er, „bin ich jetzt übergeschnappt.Lieber in der Kälte als an einem so unheimlichen Ort“ rief er.“

Wenig später kam ein Dichter vorbei. Der sah den Telefonhörer in der Zelle herunterhängen. Er nahm ihn und wollte ihn auf die Gabel legen. Vorsichtshalber hielt er ihn an das Ohr und sagte „Hallo“ Und wieder begann das Telefon zu sprechen. „Lieber in der Kälte als an einem so unheimlichen Ort, ich liebe dich, kannst du mich hören, weißt du, was ich dir sagen will.“ _“Ein Gedicht“ dachte der Dichter. Und noch einmal sagte er „Hallo“ Und wieder quollen Worte aus dem Hörer. Der Dichter schrieb alles auf und übertrug die Worte zuhause in ein Buch. „Wunderbar“ dachte er, „das ist der Ort, von dem die Dichtung kommt““

So geht er nun jeden Tag und schreibt, was er hört, auf. Schon viele Bücher mögen so entstanden sein, denn das Telefon nimmt immer anderen Menschen ihre Wörter ab und gibt sie dem Dichter. Und sie werden verstehen, daß ich ihn nicht sagen kann, wo das Telefon steht.

     







Essays

Artikel, die vor allem um Texte der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur kreisen.
Auch die Frage zum Zusammenhang von Literatur und Religion wird hier verhandelt.
Außerdem finden sich hier Anmerkungen zur Zeit.

Eigene Texte

Es gibt hier lyrische Versuche. Außerdem Kindergeschichten.
Diese Kindergeschichten sind zum größten Teil entstanden bei der Arbeit mit Familien. Sie sind dazu gedacht, den Tag einzuleiten. Im Anschluss an diese Geschichten lassen sich gemeinsame Aufgaben erledigen: Die Herstellung von Klappern oder Bumerangs etwa, aber auch das gemeinsame Basteln eines Hauses.
Die Kindergeschichten entstanden dadurch, dass die Kinder Vorgaben zu Personal und Ereignissen gemacht haben, die dann am nächsten Morgen in der Geschichte vorkommen mussten.

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